Das onlinejournal kultur&geschlecht #29 ist erschienen

Das onlinejournal kultur&geschlecht #29 ist erschienen:

Die vier Artikel der vorliegenden 29. Ausgabe des onlinejournals kultur&geschlecht verfolgen sehr unterschiedliche Anliegen, die sich im weitesten Sinne auf dem Spektrum zwischen Aktivismus und Populärkultur positionieren lassen. Aktivistische Bewegungen on- und offline bilden einen Schwerpunkt, der mit einer Betrachtung antirassistischer Arbeit in sozialen Medien und einer Untersuchung der Mobilisierung der Ikonografie der US-Serie The Handmaid’s Tale in Pro-Choice-Protesten abgedeckt ist. Am anderen Ende des inhaltlichen Spektrums dieser Ausgabe widmen sich zwei weitere Artikel der ästhetischen Analyse audiovisueller Medien, nämlich der letztjährig erschienenen Marvel Studios-Serienproduktion WandaVision sowie dem japanischen Animationsfilm The Adolescence of Utena aus dem Jahr 1999, die hinsichtlich ihrer Überkreuzung von Genre- und Genderkonventionen respektive ihrer Konstruktion von queeren Räumen und Zeitlichkeiten befragt werden.

Die Diskursivierung von Alltagsrassismus und Rassismuserfahrungen Schwarzer Menschen und People of Color im deutschsprachigen Raum steht im Fokus des Artikels von Hannah Goga. Ihr Artikel mit dem Titel @wasihrnichtseht – Gemeinschaft als Konsequenz geteilter Rassismuserfahrungen vereint die Ergebnisse einer online-ethnografischen Studie der Community des gleichnamigen Instagramprofils, auf dem Schwarze Menschen ihre Rassismuserfahrungen teilen, mit einem Interview mit dem Initiator, Onlineaktivist und Profilbetreiber Dominik Lucha. Rassismuserfahrungen sind alltäglich und allgegenwärtig, ihre Sichtbarmachung und Diskursivierung erzeugt jedoch auch Gemeinschaftsphänomene. Vor diesem Hintergrund hat sich um das 2020 gestartete Profil @wasihrnichtseht in kurzer Zeit eine Community von über 100.000 Follower*innen gebildet, die die antirassistische Aufklärungsarbeit Luchas in den Kommentaren fortsetzt.

Am 24. Juni dieses Jahres hob der oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten die Grundsatzentscheidung Roe v. Wade auf, die gebärfähigen Personen das Recht über die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch 49 Jahre lang verfassungsmäßig zugesichert hat. Bereits in den vorherigen Jahren haben sich in den USA zivile Bewegungen gebildet, um gegen die Einschränkungen reproduktiver Rechte insbesondere in den sogenannten „red states“ zu protestieren. Im Zuge des Erfolgs der dystopischen TV-Serie The Handmaid’s Tale wird die markante Uniform der Handmaids, bestehend aus dunkelroter Robe und weißer Haube, zu einem visuell sehr wirksamen Protestsymbol, dessen Nutzung insbesondere in sozialen Medien eine hohe Sichtbarkeit der Demonstrierenden bewirkt hat. In ihrem Artikel ‚Sie hätten uns niemals Uniformen geben sollen, wenn sie nicht wollten, dass wir eine Armee sind!‘ – The Handmaid’s Tale als Protestsymbol untersucht Herolina Krasniqi die Demonstrationen der als „Mägde“ gekleideten Pro Choice Aktivist*innen und ihr performatives Potential mit Judith Butlers performativer Theorie der Versammlung.

Mit WandaVision startete im Sommer 2021 die erste von Marvel Studios für den Streamingdienst Disney+ produzierte Serie, die inhaltlich an die Kinofilme des seit 2008 stetig expandierenden Marvel Cinematic Universe anschließt. Nach den traumatischen Ereignissen in Avengers: Infinity War zieht sich die trauernde Wanda Maximoff in die nordamerikanische Kleinstadt Westview zurück und erschafft dort ihre eigene Realität nach dem Vorbild von US-Sitcoms. Vor diesem Hintergrund zitiert jede Folge die jeweilige Sitcom-Ästhetik einer spezifischen Dekade, doch Wiederaufführung einschlägiger Darstellungskonventionen dient nicht allein dem Selbstzweck. Luca Evers arbeitet in ihrer It’s all Wanda… or is it? betitelten Analyse heraus, in welcher Art und Weise die Darstellungskonventionen des typischsten aller US-amerikanischen TV-Genres und seiner heteronormativen Familienkonstruktionen in die Narration eingreifen und die Handlungsspielräume der Figuren nicht nur öffnen, sondern vor allem beschränken.

Der 1999 in Japan produzierte Animationsfilm The Adolescence of Utena des Regisseurs Kunihiko Ikuhara widersetzt sich narrativen Logiken und privilegiert mit seinen fragmentierten Landschaften, unzugänglichen Symbolismen und überraschenden Transformationen die oft merkwürdige Logik des Traums. Theodor Vité begreift diese spezifische Merkwürdigkeit als „eine queere Ästhetik des Seltsamen, die nur im Medium der Animation möglich ist.“ Anstatt dies lediglich als kulturelles Artefakt zu erkennen und zu verwerfen, nutzt er in seinem Artikel Adolescence Apocalypse – Queere Raum- und Zeitkonstruktionen im Animationsfilm Ansätze der Queer Theory nach Sara Ahmed und Jack Halberstam, um das Merkwürdige des Films als eine spezifische Queerness erkennbar zu machen, die aus der Medialität der Animation entspringt. Dabei interessiert ihn vor allem, wie The Adolescence of Utena Räume und Zeitlichkeiten animiert und dabei queer verschiebt.

Das onlinejournal kultur&geschlecht ist ein transdisziplinäres Forum für Nachwuchswissenschaftler*innen der Ruhr-Universität Bochum, die zu Geschlechterfragen und ihren Kontexten forschen. Es wird am Lehrstuhl für Medienöffentlichkeit und Medienakteure mit besonderer Berücksichtigung von Gender des Instituts für Medienwissenschaft von Astrid Deuber-Mankowsky und Peter Vignold herausgegeben, gefördert von der Fakultät für Philologie und dem Rektorat der RUB.